Meldung von „mutmaßlichen schwerwiegenden Vorkommnissen“
Hinweise zur geplanten Umsetzung auf Basis aktueller Entwürfe
Die Ära des Medizinproduktegesetzes (MPG) nähert sich ihrem Ende. Damit verlieren auch mehrere zu seiner Umsetzung erlassene Verordnungen ihre Gültigkeit. Die Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung (MPSV) wird durch die neue Medizinprodukte-Anwendermelde- und Informationsverordnung (MPAMIV) ersetzt. Nachdem der Teil 1 dieses Beitrags eine allgemeine rechtliche Einordnung gegeben hat, thematisiert dieser Teil 2 die konkreten Regelungen zur Meldung und Bewertung von mutmaßlichen schwerwiegenden Vorkommnissen bei Medizinprodukten auf der Grundlage bereits vorliegender Entwürfe des BMG und des Bundestages.
Der erste von zwei Abschnitten der Verordnung „Anwendungsbereich; Meldeverfahren“ behandelt in den Paragraphen 1 bis 7 insbesondere die „Meldung von mutmaßlichen schwerwiegenden Vorkommnissen“.
Anwendungsbereich nach § 1 MPAMIV:
Ab 26. Mai 2021 Medizinprodukte, ab 26. Mai 2022 auch IVD
Der Anwendungsbereich der Medizinprodukte-Anwendermelde- und Informationsverordnung soll sich zunächst nur auf die Produkte im Sinne der Verordnung (EU) 2017/745 (MDR) erstrecken. Erst in einem zweiten Schritt soll mit Geltungsbeginn der Verordnung (EU) 2017/746 (IVDR) zum 26. Mai 2022 der Anwendungsbereich der Medizinprodukte-Anwendermeldeverordnung auch auf In-vitro-Diagnostika im Sinne der Verordnung (EU) 2017/746 ausgedehnt werden. Für In-vitro-Diagnostika gilt die Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung in der bis einschließlich 25. Mai 2021 geltenden Fassung zunächst weiterhin bis zum 25. Mai 2022.
Ergänzende Begriffsbestimmungen nach § 2 MPAMIV:
Definition „mutmaßliches schwerwiegendes Vorkommnis“
Der Ausdruck „mutmaßliches schwerwiegendes Vorkommnis“ ist nach dem vorliegenden Verordnungsentwurf „ein Vorkommnis, bei dem nicht ausgeschlossen ist, dass es auf einer unerwünschten Nebenwirkung eines Produktes, auf einer Fehlfunktion, einer Verschlechterung der Eigenschaften oder der Leistung eines Produktes, einschließlich Anwendungsfehlern aufgrund ergonomischer Merkmale oder einer Unzulänglichkeit der vom Hersteller bereitgestellten Informationen beruht und das direkt oder indirekt eine der nachstehenden Folgen hatte oder hätte haben können:
1. den Tod eines Patienten, Anwenders oder einer anderen Person,
2. die vorübergehende oder dauerhafte schwerwiegende Verschlechterung des Gesundheitszustands eines Patienten, Anwenders oder einer anderen Person oder
3. eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Gesundheit.“
Zur Meldeverpflichtung nach dieser Verordnung sollen nach dieser Begriffsbestimmung nicht nur Vorkommnisse führen, bei denen eine Fehlfunktion oder eine Verschlechterung der Eigenschaften oder der Leistung eines Produktes festgestellt werden, sondern bereits auch solche, bei denen eine Fehlfunktion oder eine Verschlechterung „mutmaßlich“ vorliegen. Für eine Meldepflicht soll es demnach genügen, wenn bestimmte Anzeichen für das Vorliegen eines „schwerwiegenden Vorkommnisses“ sprechen.
Der Ausdruck „mutmaßliches schwerwiegendes Vorkommnis“ geht inhaltlich über die Begriffsbestimmung des „schwerwiegenden Vorkommnisses“ hinaus (vgl. Artikel 2 Nummer 65 der Verordnung (EU) 2017/745 und Artikel 2 Nummer 68 der Verordnung (EU) 2017/746). „Schwerwiegende Vorkommnisse“ sind eine Teilmenge des inhaltlich deutlich weiter gefassten Begriffes „mutmaßliches schwerwiegendes Vorkommnis“. Zu der Verwendung dieses gegenüber MDR und IVDR erweiterten Begriffs wird in der Begründung zum Verordnungsentwurf folgendes ausgeführt: „Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein nach dieser Verordnung Meldepflichtiger über die erforderliche Fachkompetenz verfügt, ein schwerwiegendes Vorkommnis eindeutig festzustellen.“ Die gewählte Form der Darstellung soll der besseren Verständlichkeit für die Meldepflichtigen dienen.
Nummer 1: „Tod eines Patienten, Anwenders oder einer anderen Person“
Beim Tod eines Patienten, Anwenders oder einer anderen Person, der direkt oder indirekt auf der Verwendung eines Medizinproduktes beruht, soll ein „mutmaßlich schwerwiegendes Vorkommnis“ vorliegen.
Nummer 2: „schwerwiegende Verschlechterung des Gesundheitszustands“
Eine „schwerwiegende Verschlechterung des Gesundheitszustands“ soll vorliegen, wenn in Anlehnung an MDR und IVDR bei einem Patienten, Anwender oder einer anderen Person eine der nachstehenden Folgen eingetreten sind:
- lebensbedrohliche Erkrankung oder Verletzung,
- bleibender Körperschaden oder dauerhafte Beeinträchtigung einer Körperfunktion,
- stationäre Behandlung oder Verlängerung der stationären Behandlung des Patienten,
- medizinische oder chirurgische Intervention zur Verhinderung einer lebensbedrohlichen Erkrankung oder Verletzung oder eines bleibenden Körperschadens oder einer dauerhaften Beeinträchtigung einer Körperfunktion,
- chronische Erkrankung,
- Fötale Gefährdung, Tod des Fötus oder kongenitale körperliche oder geistige Beeinträchtigungen oder Geburtsfehler.
Nummer 3: „schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Gesundheit“
Der Begriff „schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Gesundheit“ bezeichnet nach MDR (Artikel 2 Nummer 66) und IVDR (Artikel 2 Nummer 69) ein Ereignis, welches das unmittelbare Risiko des Todes, einer schwerwiegenden Verschlechterung des Gesundheitszustands einer Person oder einer schweren Erkrankung, die sofortige Abhilfemaßnahmen erfordert, bergen könnte. Ein solches Ereignis kann zudem eine signifikante Morbidität oder Mortalität bei Menschen verursachen oder ist für einen bestimmten Ort und eine bestimmte Zeit ungewöhnlich oder unerwartet.
„Das MPG geht, die Probleme bleiben“
Meldepflicht nach § 3 MPAMIV:
Gewerbliche und berufliche Profis müssen melden
Die Meldepflicht für Betreiber und Anwender setzt den in MDR (Artikel 87 Absatz 10) und IVDR (Artikel 82 Absatz 10) festgelegten Auftrag an die Mitgliedstaaten um. Mutmaßliche schwerwiegende Vorkommnisse sind der zuständigen Bundesoberbehörde unverzüglich zu melden. Das bedeutet im Sinne von § 121 BGB „ohne schuldhaftes Zögern“.
Dabei sind nicht nur die Ärzte oder Zahnärzte meldepflichtig, die eine Patientin oder einen Patienten selbst mit einem Produkt versorgt haben, sondern alle von ihnen, denen in Ausübung einer beruflichen Tätigkeit mutmaßliche schwerwiegende Vorkommnisse bekannt werden. Meldepflichtig können nach Angaben in der Begründung beispielsweise auch Rechtsmediziner und Pathologen sein, wenn ihnen im Rahmen einer Obduktion Vorkommnisse bekannt werden.
Patientenmeldungen nach § 4MPAMIV:
Patientinnen und Patienten können indirekt oder direkt melden
Patientinnen und Patienten oder ihre Angehörige sollen ihre behandelnden Ärzte oder Zahnärzte über mutmaßliche schwerwiegende Vorkommnisse informieren. Alternativ können sie auch den Händler kontaktieren, der das Produkt bereitgestellt hat und der zu einer Weitermeldung verpflichtet ist. Ärzte und Händler können in der Regel besser einschätzen als Patienten, ob es sich um ein „mutmaßliches schwerwiegendes Vorkommnis“ handelt, welches der zuständigen Bundesoberbehörde mitzuteilen ist. Patientinnen und Patienten können auch direkt an die zuständige Bundesoberbehörde melden. Eine Verpflichtung zur Meldung ist für sie aber nicht vorgesehen.
Hinweise durch die Bundesoberbehörden nach § 5MPAMIV:
Die Bundesoberbehörden informieren auf ihren Internetseiten
Die zuständigen Bundesoberbehörden veröffentlichen jeweils Hinweise zur Übermittlung der Meldungen nach den §§ 3 und 4 Satz 2 auf ihren Internetseiten; die Barrierefreiheit nach § 12a des Behindertengleichstellungsgesetzes ist zu gewährleisten. Die zuständigen Bundesoberbehörden sollen durch geeignete Maßnahmen das Verständnis der Öffentlichkeit für die Bedeutung der Patientenmeldungen fördern mit dem Ziel der Verbesserung der Mitwirkungsbereitschaft in der Bevölkerung.
Erfassung der Meldungen nach § 6 MPAMIV:
Erfassung über deutsches Informations- und Datenbanksystem
Meldungen über mutmaßliche schwerwiegende Vorkommnisse müssen nach MDR (und später auch IVDR) zentral erfasst werden. Die Meldungen von Profis müssen zur zentralen Erfassung über das Deutsche Medizinprodukteinformations- und Datenbanksystem erfolgen. Laien haben die Option, Vorkommnisse bei Patientinnen oder Patienten freiwillig ebenfalls über das Deutsche Medizinprodukteinformations- und Datenbanksystem zu melden. Ihre Meldungen können aber auch über andere Kommunikationswege erfolgen wie z.B. per Brief oder E-Mail. In solchen Fällen hat die zuständige Bundesoberbehörde sicherzustellen, dass auch diese Meldungen im Deutschen Medizinprodukteinformations- und Datenbanksystem erfasst werden.
Ergänzende Verfahrensregelungen nach § 7MPAMIV:
Komplexes System von Meldungen und Fristen
§ 7 MPAMIV regelt die zahlreichen von Herstellern und Behörden einzuhaltenden Formalitäten des Medizinprodukte-Beobachtungs- und Meldesystems. Insbesondere für die konsequente Beachtung der Meldepflicht ist es nach Auffassung des Bundesministerims für Gesundheit von erheblicher Bedeutung, dass das Verfahren der behördlichen Risikobewertung in transparenter Weise abläuft. Dazu gehören eine Bestätigung des Eingangs der Erstmeldung über ein mutmaßliches schwerwiegendes Vorkommnis sowie die Unterrichtung der meldepflichtigen bzw. meldenden Personen oder Stellen über den Abschluss und die Ergebnisse der Risikobewertung.
Einzelheiten zu den vorgesehenen Meldungen und Fristen für Prüfungen, Begründungen, Bestätigungen und Bewertungen von Bundesoberbehörde und Hersteller können dem Text von § 7 im angehängten Entwurf des Abschnitts 1 der Medizinprodukte-Anwendermelde- und Informationsverordnung (MPAMIV) entnommen werden.
Fazit
Für eine genaue Bewertung der neuen Anwendermeldeverordnung soll und muss erst noch der verbindliche Verordnungstext abgewartet werden. Für die meisten Akteure wie die Anwender und Betreiber sowie die Hersteller wird sich die zukünftige Handhabung der Vorkommnismeldungen jedoch nicht wesentlich von der bisherigen Realität unterscheiden. Änderungen gibt es bei der Definition der Zweckbestimmung sowie verschiedenen Zuständigkeiten und Formalitäten der Abwicklung. Erst einmal kann man aber bei einer Zwischenbilanz Entwarnung geben. Nach einer ersten Einschätzung des Autors soll nichts verlangt werden, was die Akteure im Prinzip nicht schon kennen oder sie gar überfordern würde. Während für die meisten Hersteller durch die neuen EU-Verordnungen MDR und IVDR der regulatorische Aufwand und die Probleme der Umsetzung deutlich zugenommen haben (teilweise leider sogar wegen unnötiger und unklarer Vorschriften völlig überflüssigerweise), kann für Anwender und Betreiber eher der Grundsatz gelten: „Das MPG geht, die Probleme bleiben“ (Quellen: Verordnungsentwurf und Begründung, BMG/Bundestag/Bundesrat).
Der Teil 1 dieses Beitrags mit einer allgemeinen rechtlichen Einordnung der Anwendermeldeverordnung ist am 18. März ebenfalls bei Hippokratech News und Trends erschienen.